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Boucherouite: Bunt, Recycelt und aus der Familie der Berber

27. Oktober 2017

Was ist eigentlich ein Boucherouite?

Man könnte sagen, ein Boucherouite ist der unbekannte kleine Bruder des Beni Ourain. Und zwar der wilde, bunte, chaotische und letztendlich auch vielseitigere Bruder. Wie zwei ungleiche Geschwister sehen die beiden grundverschieden aus – nur hin und wieder scheint die Familienähnlichkeit durch. Und verschieden ist nicht ihr Aussehen, sondern auch ihr Charakter, ihre Machart und Geschichte. Eine Sache aber habe sie gemeinsam: Sowohl der Boucherouite als auch der Beni Ourain sind unglaublich gefragte Teppiche. Sie bewegen sich nicht nur in gehobenen Preisklassen, sondern sind auch gern gesehene Gäste in Galerien und Museen.

Boucherouite: aus der Familie der Berber

Über die Geschichte der Berberteppiche haben wir hier schon mal geschrieben. Kurze Zusammenfassung: Berberteppiche dienten den Nomaden im nordafrikanischen Raum als bewegliche Möbel, z.B. als Sitzgelegenheit oder Schlafstätte. Sie waren in erster Linie praktische Nutzgegenstände und wurde jahrhundertelang von den Frauen geknüpft, die dafür die Wolle der Herdentiere verwendeten. Die typischen Berberteppiche sind aus ungefärbter Wolle gefertigt, es gibt aber auch welche in leuchtenden Farben mit mehr oder weniger gleichmäßigen geometrischen Formen. Diese Muster können mythische Bedeutungen haben, die innerhalb der Stämme und Familien weitergegeben werden.

 

Der Boucherouite entstand, als im letzten Jahrhundert das Nomadenleben immer weiter abnahm. Je weniger Nomaden mit ihren Tierherden durch die Gegend zogen, desto knapper und damit teurer wurde die Wolle. Die Frauen waren gezwungen für die Teppichherstellung auf andere Materialien umzusteigen und Textilien zu nehmen, die gerade verfügbar waren: alte Kleidung, Woll- und Stoffreste, aber auch synthetische Fasern. Die daraus gewebten Teppiche nannten sie „Boucherouite“, was in etwa „aus zerrissener und wiederverwendeter Kleidung gemacht“ bedeutet.

Jahrhundertealte Tradition und neues Design

Boucherouite_Designerteppich_Manapouri_ArtworkDurch die Verwendung anderer Materialien änderte sich zwangsläufig  das Aussehen der Teppiche. Zwar fertigten die Frauen die Boucherouite wie früher ohne Vorlage an, doch standen auf einmal ganz andere Farben und Textilien zur Verfügung. Dadurch konnten die wildesten Farbkombinationen entstehen, die sich in windschiefen Mustern über den Teppich zogen. Ob Pastellfarben oder Erdtöne, gleichmäßige Motive oder wirr aneinandergestückelte Formen oder alles zusammen in Kombination – kein Boucherouite gleicht dem anderen und alles ist möglich. Seine eigenwilligen Farbverläufe und Muster enspringen dabei ganz den individuellen Vorstellungen seiner Weberin. Und sind natürlich abhängig davon, welches Material sie beim Weben zur Hand hatte. Aber auch wenn die Muster nun bunter und wilder ausfallen als früher, entstehen sie nicht komplett losgelöst von der jahrhundertealten Berbertradition. Immer wieder scheinen bekannte Motive durch, die nach wie vor an die alten mythischen Muster angelehnt sind.

Vom Hausteppich ins Museum

Boucherouite_Designerteppich_Manapouri_ArrowheadObwohl die maghrebinischen Frauen die ersten Boucherouite bereits in den 60er Jahren fertigten, standen die Teppiche lange nicht im Rampenlicht. In der westlichen Welt waren „typische Berber“ gefragt – die Boucherouite gerieten als private Nutzteppiche kaum an die Öffentlichkeit. Erst in den 90ern wurden die Boucherouite für die westliche Welt „entdeckt“ und seit einigen Jahren sind sie dort beliebt wie nie zuvor. Die Teppiche, die aus einem Mangel entstanden und lediglich für den täglichen Gebrauch gedacht waren, hängen nun als Kunstgegenstände in Galerien und Museen

Dabei dürfte es nicht nur das interessante Aussehen der Boucherouite sein, das zu ihrer Beliebtheit (und ihrem Preis) beiträgt. Sondern auch die Tatsache, dass sie aufgrund ihrer Individualität und Vielseitigkeit zu den authentischsten Einrichtungsstücken zählen dürften, die es gibt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Einrichtungsgegenständen werden sie nicht von Designern entworfen, die einen bestimmten Stil oder eine Käufergruppe im Kopf haben. Jeder Boucherouite ist ein Unikat und verdankt sein Aussehen dem individuellen Geschmack seiner Weberin.

Neben ihrem wilden Aussehen gibt es aber noch einen weiteren Aspekt, der die Boucherouite so interessant macht. Denn die Teppiche erzählen auch ihre eigene Geschichte von der jahrhundertealten Berberkultur, ihrer Wandlung im Laufe der Zeit und ihrer Anpassung an moderne Lebensumstände.

Zu welcher Einrichtung passt der Boucherouite am besten?

Da die Boucherouite  im allgemeinen für den alltäglichen Gebrauch entworfen werden, sind sie recht strapazierfähig und vielseitig einsetzbar. Deshalb machen sie sich auch außerhalb von Galerien und Museen in normalen Wohnungen ganz gut. Sie passen beispielsweise zu Shabby Chic-Einrichtungen oder zum Vintage Stil. Besonders zu empfehlen ist der Boucherouite auch für Kinderzimmer. Dort ist er nicht nur aufgrund seiner knallbunten Farben und dem wuscheligen Flor beliebt, sondern auch weil Flecken darauf kaum auffallen.

Der Boucherouite passt aber auch zu schlichten Einrichtungen, besonders wenn diese in hellen Farben gehalten sind. Dann ist er mehr als jeder andere Teppich dazu geeignet, für Wärme und Lebendigkeit im Raum zu sorgen. Ansonsten kann man natürlich auch überlegen, den Teppich wie im Museum und in einer Galerie an die Wand zu hängen. Ein bunteres und eigenwilligeres Bild wird man nur schwer finden.

 

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